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Mein Verhältnis zur Digitalisierung


Es mag widersprüchlich erscheinen, ich kritisiere die Digitalisierung an vielen Stellen vehement und bin gleichzeitig einer ihrer Protagonisten, verdiene einen Großteil meines Einkommens damit.
Die Erklärung ist sehr einfach. Ich unterscheide zwischen der Digitalisierung des Soziallebens und der Digitalisierung der Industrie. Alle was dazwischen liegt, im Handel, im Kaufmännischen, in der Kunst, im Verkehr, in der Verwaltung, bewertet sich dann daraus abgeleitet so oder so, je nachdem, was überwiegt.

Die Digitalisierung des Soziallebens hat natürlich auch ihre sehr angenehmen Seiten. Auch ich nutze Messenger Dienste, email, Google als Suchmaschine, kaufe auch manchmal (sehr selten) online ein, bestelle aber Theaterkarten online und buche Reisen online. Ich bin kein digitaler Asket, ich kritisiere vor allen Dingen den Trend zur sogenannten Vereinfachung des Lebens.

Das Leben ist dazu da, kompliziert zu sein. Voller nerviger Aufgaben, voller Konflikte, voller Herausforderungen und Gründen zum Selbstzweifel. Der Mensch entwickelt sich nur durch Problemlösung. Und zwar echte Problemlösung, keine extra für ihn erfundenen Rätsel, sie seine Entwicklung fördern sollen. Unsicherheit ist die beste Voraussetzung, zu reifen und mit jeder gegen Widerstände erworbenen Fähigkeit wird das Leben schöner und interessanter.

Die Digitalisierung des Soziallebens mit ihren Dingevermittlern, ihren Optimierungsangeboten, ihren Verwöhnmodellen, sie macht die Menschen zu Nutztieren. Nutztiere der Digitalen Dienstleister, die ein bequemes Leben im Stall haben, wo ihnen alle Sorgen und alle Verantwortung abgenommen werden.

Ganz anders verhält es sich mit der Industrie. Sie dient dazu, den ganzen Apparat am Laufen zu halten, den wir brauchen, um in der großen Zahl, die wir sind, zu überleben. Wer das leugnet ist naiv und romantisch. Die Industrie so zu gestalten, dass sie das gut kann, was wir von ihr brauchen, dazu kann Digitalisierung enorm viel beitragen. Dass Dinge gut werden, schön werden, effizient entstehen, menschenwürdig entstehen, lange halten, … In der Industrie gibt es weiterhin sehr viel Potenzial, Dinge besser zu machen, dass wir auf diesem Planeten gut auskommen, untereinander und mit der Natur.

Wieder anders verhält es sich mit der einen oder anderen industriellen Innovation. Autonomes Fahren halte ich für Quatsch. Aus vielen Gründen. Ich bin überzeugt, dass sich autonome technische Systeme nicht mit einem sozialen öffentlichen Raum vertragen. Das liegt unter anderem am Umgang mit Risiko, der unvereinbar ist. Außerdem am Systemgedanken an sich – diese Systeme müssten autoritär sein, um zu funktionieren - defensiv wären sie ohnmächtige Objekte - das verträgt sich nicht mit der individuellen Freiheit in der Demokratie.

Ebenso halte ich Technologien für unsinnig, die darauf ausgelegt sind, Menschen zu beherrschen, in welcher Form auch immer.  Wir sind sterbliche Subjekte und das ist ein Teil unserer Gesellschaft. Unsere Investitionen sollten lieber in ein gutes Leben miteinander gehen, als in eine immer weitere Optimierung eines Lebensbegriffes, der doch nur wenig Freude enthält.

Weiter sind Technologien bedenklich, die die Überbevölkerung weiter befördern. Bei aller Moral, die Überbevölkerung ist schlimmer.


Mit Waffen wird es schon schwieriger. Sollen wir an noch effektiveren Waffen forschen? Andere tun es und so lange wir das nicht verhindern können, haben wir wohl keine andere Wahl. Die Menschen hatten schon immer die Neigung, sich plötzlich gegenseitig umzubringen.


Als letzter Gedanke dazu: Ich glaube, wir investieren heute unklug in das was wir Wissenschaft nennen. Technische Innovationen sind in unseren Zeiten mehr ein Problem als ein Segen. Sie sind ein Zwang, dem Unternehmen unterliegen, um sich in einem andauernden Rennen zwischen Wettbewerb und Aktienkurs zu behaupten. Daher erfinden sie zwanghaft Dinge, die niemand braucht, nur um etwas neues anbieten zu können.


Wir haben genug Technik. Der eigentliche Innovationsbedarf liegt in der Industrie in der Nutzung der Technologie und außerhalb der Industrie im Sozialen. In der Art und Weise, wie wir uns untereinander organisieren, wie wir Wertschätzen und uns wertgeschätzt fühlen. In der Fähigkeit, Gemeinschaft zu leben. Sprich: in der Kultur. Auch hier können digitale Methoden helfen, aber auch nur helfen, mehr nicht.